Zur Graphik von Markus Lüpertz
I.
Das bislang einzige, von James Hofmaier bearbeitete Verzeichnis der Graphiken von Markus Lüpertz nennt als früheste Arbeit mit der Nummer 1 eine Kaltnadelradierung (2 Motive, Kreuzabnahme und Kreuzigung), die um 1960/62 entstand (1). Insgesamt werden etwa 380 Nummern in dem 1991 veröffentlichten Katalog verzeichnet, neben Kaltnadelradierungen sind darunter Linol- und Holzschnitte, Ätzungen und Aquatinten, Prägungen oder Vernis mou sowie Lithographien und Serigraphien (Siebdrucke). Geschaffen hat Lüpertz sie sowohl auf die klassische Art und Weise als auch eher unkonventionell, zum Beispiel mit Hilfe von Bohrmaschinen (2), was ein doch eher unübliches Werkzeug für die Bearbeitung eines Druckstocks ist. So lässt sich gerade aus dem Apparat dieses ersten Verzeichnisses viel über den früheren Stellenwert der Graphik im Œuvre des heute zuvorderst und zu Recht als Maler/Bildhauer bekannten Künstlers ablesen: Die Graphik war ihm anfangs, das steht jedenfalls zu vermuten, vor allem (und nur) ein weiteres Feld der Entäußerung; die Graphik war für ihn eine zusätzliche Möglichkeit, sich mitzuteilen, ein weiterer Weg um zu zeigen, was er wollte und was ging. Markus Lüpertz ging es eben nicht „im üblichen oder traditionellen Verständnis“ um die „Möglichkeit von Reproduktion und Vervielfältigung – ihn interessiert[e] Graphik als Prozess“, wie schon Siegfried Gohr feststellte (3). Ihm ging es (ich meine anfangs) um dasselbe wie auch in den anderen Künsten, nämlich um Formenbildung und um die Verringerung des Raumes, das heißt seine größtmögliche Besetzung, um Kraft und Macht, Körper und Figur, um Stil und Gestalt, um Rhetorik und um Abstraktion; und um die Brechung des gewohnten Gesehenen (4).
Seit 1991 ist Markus Lüpertz‘ graphisches Œuvre beständig angewachsen. Auch die Intention einzelner Arbeiten hat sich in den vergangenen Jahren teils deutlich verändert. Allein die beiden Arkadien-Suiten aus dem Jahr 2014 umfassen zusammen mehr als 20 Motive, ihr Anliegen ist komplexer, weitaus narrativer als das früherer Serien wie der „Spanischen Serie“ oder der „Titanenschlacht“. 2013 brachte Lüpertz seine bereits 1985/86 verlegte Suite der „Zehn Holzschnitte zum Mykenischen Lächeln“, die nach der von 1985 stammenden, ähnlich betitelten Gemälde-Serie „5 Bilder über das mykenische Lächeln“ entstand, in verschiedenen Farbvarianten neu heraus (5). Als eine Paraphrase des eigenen Werkes: Noch immer zeigen die zehn Holzschnitte jeweils lediglich ein sehr eindringliches, wegen der streng emblematischen Darstellung, wozu geschlossene Augen gehören, geheimnisvoll wirkendes Gesicht, das schwebend über einer ansonsten nicht weiter in Ort oder Zeit erklärten Fläche liegt. Im Unterschied zu den Gemälden, auf denen eben diese Gesichter eine viel geringere Präsenz besitzen – dort spielen das Ensemble der Figuren, ihr Verhalten zu- und ihr Wirken aufeinander vor archaisch-düsteren Landschaften, und die durch die Bild-Titelei dem Betrachter zusätzlich evozierten mythologisch variablen Zusammenhänge eine weitaus größere Rolle. Doch während Lüpertz sich in der ersten Edition des Mykenischen Lächelns im Kolorit der Holzschnitte an der archaischen Atmosphäre seiner Gemälde orientierte, es dominieren Braun- und Weißtöne auf schwarzem Grund, geht der 2013 angelegte hellere Farbenkanon mit seinen verschiedenen Blau-, Rot- und auch Gelb-Tönen darüber hinaus. Das idolartige der Gesichter bleibt zwar erhalten, wird aber durch diese Farbigkeit, die an die Bemalung Lüpertz‘scher Bronzeplastiken erinnert, „modernisiert“.
Erst kürzlich hat Markus Lüpertz noch einmal ältere Holzdruckstöcke ausdrucken lassen. Die drei Motive stammen ursprünglich vom Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre und zeigen jeweils einen sitzenden Krähenvogel. Das ist kein untypisches Motiv für Lüpertz, doch selten waren sie so präsent. Per Handabzug wurden die annähernd quadratischen und ungewöhnlich großen Druckstöcke (das einzelne Blatt misst knapp 160 mal 160 cm) auf zuvor mit stark verdünnter Ölfarbe zurückhaltend kolorierten Papierbögen in Schwarz ausgedruckt (6).
Schließlich sollten auch all jene Motive nicht vergessen werden, die als Trabanten seiner bildhauerischen Werke entstanden und immer noch entstehen, denn „meistens mache ich Kaltnadelradierungen, die in Korrespondenz zu Skulpturen stehen“ (7), wie Lüpertz selbst sagt. Aus nämlichen Grund zählen zahlreiche Einzelblatt-Editionen und kleinere Gruppen zu „Daphne“ (Skulptur von 2003), „Mozart“ (2005), „Herkules“ (2010) und zu „Hölderlin“ (2012), eine zur „Fortuna“ (2012) und eine zum „Atlas“ (2014) ins Œuvre. Und obschon – in diesem Falle der Kupferstecher – Lüpertz einige dieser Blätter selbst durch händisches Kolorieren als Unikate adelte, bleiben es doch ihrem Wesen nach und im ursächlichen Sinne graphische Werke.
II.
Herkules ist bei Markus Lüpertz ein halbnackter alter Mann mit lichtem Haupthaar, Paris ist ein selbstverliebter Poser, Fortuna hat ganz offenbar vergessen, was sie mit dem Füllhorn anstellen soll, Mozart tänzelt ein wenig mehr als üblich und Merkur geriert sich als austrainierter Sportler. Die Toscana zeigt sich als bewohntes Memento mori und sein „Arkadisches Manifest“ ist vor allem eines, ein Manifest wider den Stillstand der Kunst, wider der Hörigkeit gegenüber Modernismen. Diese Beispiele und mehr beweisen für mich, die Graphik ist längst ein autonomer, das Gefundene weiter entwickelnder Teil seines Œuvres geworden.
Stefan Skowron
1) Siehe: Markus Lüpertz Druckgraphik. Werkverzeichnis 1960–1990, Edition Cantz Stuttgart, 1991, S. 148. Leider ist die Systematik dieses Verzeichnisses eher unpraktisch an der Technik orientiert, und nicht, wie allgemein üblich, am Entstehungszeitpunkt.
(2) Wie Anm. 1, S. 148–201; zur Bohrmaschine s. z.B. WVZ-Nummern 71ff, ebd. S. 155ff. James Hofmaier schreibt dazu, sie habe „den Künstler eine neue Handschrift, eine neue Textur, ja Struktur sowohl für die Radierplatte wie für den Holzschnitt finden“ lassen, ebd. S. 20.
(3) Zitiert nach: Siegfried Gohr. Zur Druckgraphik von Markus Lüpertz, in: Markus Lüpertz, Druckgrafik, Maximilian Verlag – Sabine Knust, München (Hrsg.) 1991.
(4) Siehe dazu unter anderem die in diesem Katalog unter dem Titel „Abstrakte Kompositionen“ versammelten Motive.
(5) Vgl. das Original unter WVZ-Nummer 287–296, in: Markus Lüpertz Druckgraphik. Werkverzeichnis 1960–1990, ebd., S.186–187; Abb. ebd. S. 110–111 sowie die Abb. zur neuen Suite in diesem Katalog.
(6) Siehe dazu die Abb. in diesem Katalog. Gedruckt wurden die Motive wie auch schon die Holzschnitt-Suite zum „Mykenischen Lächeln“ in der Werkstatt von Martin Kätelhön in Köln.
(7) Markus Lüpertz im Gespräch mit Rene S. Spiegelberger am 28. Oktober 2013, zitiert nach: http://spiegelberger-stiftung.de/ateliergesprache/markus-luepertz/ [19. Januar 2016].
(8) Markus Lüpertz sagte das in einem Gespräch in seinem Düsseldorfer Atelier, währenddessen er einen eigens für ihn angefertigten Stichel für Radierungen ausprobierte, mit verlängertem Schaft. Auch damit sei es letztlich schwierig, einen klaren Kreis zu schlagen, die schnelle – und sichere – Geste zu fixieren, so der Künstler.
(9) Zitiert nach: Diether Schmidt, Michelangelo Handzeichnungen, Insel Verlag Leipzig 1975, S. 63.
(10) Vgl. Fritz Erpel, Michelangelo, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin 1983, S. 7.
(11) Diether Schmidt, a.a.O., S. 54.
(12) Markus Lüpertz zitiert nach: Der Kunst die Regeln geben. Ein Gespräch mit Heinrich Heil, Amman Verlag Zürich 2005, S. 42 (Gespräch vom 15. Januar 2002).