Georgios Nilo
ist ein Künstler aus der Kulturtradition des Mittelmeeres, auch wenn er seit über 50 Jahren in München lebt. Seine künstlerische Laufbahn führte ihn durch wechselhafte Wege und Kunst-Räume: von Athen nach Hamburg, Amsterdam und wieder Athen, Piräus, München und Kreta. Er ist immer auf der Suche nach der perfekten Form, der absoluten Farbkombination, nach der vollkommenen Ästhetik der Dinge, um für sein aufbrausendes Ich die ultimative Harmonie zu finden. Nilo ist ein spielerischer Wilderer. Seine Suche ist nichts anderes als ein permanentes Bedürfnis nach Neuem; so wie übrigens auch beim Kochen, das ist eine weitere Leidenschaft von ihm. Dieses Bedürfnis nach Neuem und Schönem dauert sein Leben lang.
Als ich Nilo kennengelernt habe, leistete er seinen Militärdienst auf dem Peloponnes. Jede freie Minute hat er damals genutzt, um aus der Kaserne zum benachbarten antiken Amphitheater von Megalopolis zu fliehen. Er schleppte Papier und Stifte dorthin, setzte sich auf die marmornen Stufen des Theaters, zeichnete… und inszenierte eine Vorstellung: seine eigene. Er zog schnelle Striche über das Papier, suchte nach bunten Materialien in seiner natürlichen Umgebung, und in der Abenddämmerung, - während die anderen Kameraden zur Taverne gingen, um Volkslieder zu hören, sang Nilo im antiken Amphitheater Arien von Verdi und Puccini und beleuchtete mit seiner Taschenlampe die Formen, die ihn umgaben, um seinen visuellen Fiktionen malerisches Leben einzuhauchen. Ich glaube, dass er dort, auf der Bühne des antiken Theaters, noch bevor er wusste, dass er Griechenland einmal verlassen würde, zum ersten Mal die abstrakte Sehnsucht nach Rückkehr in sich gespürt hat. Sehr früh lernte Nilo graphische Gestaltungskunst bei seinem Onkel, Haris Kolas, einem Meister der grafischen Künste und Professor der Athener Akademie der Schönen Künste. Nachdem sich Nilo auf Zeichnung, Formen, Bühnenbilder und Design eingelassen hatte, kämpfte er rasch gegen die Form und den Konstruktivismus seines Lehrers, zugunsten von mehr Freiheit in Darstellung und Farbsetzung an. Abstrakt? Nein! Figürlich? Auch nicht! Muss man denn die Arbeiten eines Künstlers einordnen? Nilo überlässt es jedem einzelnen Betrachter.
Die 68er, die 70er Jahre, Militärdiktatur in Griechenland, Teilung der Insel Zypern, Waffenhandel - es war in dieser Zeit, als Nilo den Farben den Rücken kehrte und sich Bleistiftzeichnungen und den Gedanken über Politik und Widerstand widmete. Er hielt in einer Reihe wunderbarer politischer Karikaturen die damalige Zeit fest; die SZ u.a. veröffentlichten. „Nilo mach weiter mit den Karikaturen! Da liegt deine große Stärke!“, sagten die Freunde. Doch da war Nilo schon längst wieder woanders; er widmete sich seinen Farben und der Suche nach interessanten Malerei-Stoffen. Von Zakynthos holt Nilo roten Sand herbei. Ebenso Luftwurzeln, die am Strand herumliegen, bringt er mit. Auf dem Peloponnes läuft er die Meeresküste entlang, schleppt Säcke mit weißem Sand; in München geht er auf dem Viktualienmarkt auf und ab, betrachtet die Farben, bringt Obst, Gemüse und Blumen nach Hause. Seine aktuellen Arbeiten nennt er „Die Architektur der Bäume“. In seinen Werken taucht auch der Mensch auf. Und dann ist sein Konzept vollendet: Mensch und Baum, Baum und Mensch, eine prächtige Kombination. Dazu passt auch der Zyklus der verrottenden Boote, „Il ritorno d’Ulisse in patria“: Wenn Nilo die Holzreste der Boote an der Küste liegen sieht und mit seinen Fingern den Farbenresten nachgeht, verspürt er die alte Traurigkeit. Es ist die Sehnsucht nach Rückkehr.
Eleni Torossi, Autorin, Journalistin beim BR
Diether Kunerth
Ich erfuhr vor vielen Jahren das Leben auf den griechischen Inseln, als sie noch nicht von den Touristenmassen entzaubert wurden. Diesen Erlebnissen verdankt meine Malerei das Meiste. Folgende Eigenschaften der Inseln und deren Bewohner und folgende Gefühle, die diese in mir auslösen, möchte ich stichpunktartig angeben:
Das Meditative – das Einfache – das Gefühl von Begrenzung und gleichzeitiger Freiheit – das Karge und zugleich sinnlich Genießerische – die Einsamkeit der Menschen und deren Begabung, lebendige Gemeinschaft zu bilden; die Fähigkeit, der Herausforderung lebensfeindlicher Natur mit Hilfe der Ratio zu begegnen, einer Ratio, die Hand in Hand geht mit einem spontanen, gefühlhaften Ausleben der Individualität; das klare Bewusstsein der Inselbewohner vom Absurden im Dasein und ihr Dagegensetzen kraftvoller Lebenszeichen, ohne die sonst in Kulturen verwendete Schminke und raffinierten artifiziellen Tricks, um Tabus zu errichten; das oft brutale Walten der Natur, gemildert nur durch die Harmonie des äußeren Scheins, wenn reinstes und intensivstes Licht sich an spröden Formen mit gegensätzlichsten Farben bricht; das Gefühl, dass der Mensch gemeinsam mit seiner Umwelt von der ungeheuren Lichtenergie verzehrt und in schwerelosere Energie umgewandelt wird. Um dieser Auflösung zu entrinnen, baut der Mensch klotzige, geduckte Steinbehausungen und hält sich in ewigem Marmorbildnis fest. Ich benutze die Farbe nicht, um diese Eindrücke nachzuerzählen, sondern um auf sinnlich materielle und gleichzeitig zeichenhaft abstrakte Weise den Zwiespalt des Odysseus-Menschen darzustellen: von seiner Insel immer wieder fliehen zu wollen und sich doch auch auf ihr heimatlich für alle Zeiten einrichten zu wollen.